Fotografische Porträts von Pawel Kostomarow

Wie die Idee zu dieser Ausstellung entstand?

Ein Jahr lang sind wir jeden Monat von Moskau in Richtung St. Petersburg zu Dreharbeiten gefahren.

Immer, wenn wir unterwegs einen interessanten Menschen sahen, hielten wir an. Es gibt Leute, an denen kann man einfach nicht vorbeifahren.

Das ging so weit, bis jemand sagte: Aber ihr habt mich doch schon vor drei Monaten fotografiert …

Am Anfang war es einfach Neugier, Interesse für die Oberfläche: Gesichter, Kleidung, Gestik, Haltung. Versuchen Sie sich vorzustellen, Sie wären Kostümbildner und müßten sich solche Kleider ausdenken.

Bald aber stellte sich das Gefühl ein, daß in den Fotos mehr steckt als nur die Befriedigung eines professionellen Interesses. Daß sich in ihnen, nimmt man sie zusammen, ein Bild dessen abzeichnet, was passiert, ein Zustand.

Man muß wissen, daß es auf den Straßen - und wir fuhren nicht nur die Hauptstraße zwischen den beiden russischen Metropolen, sondern auf zahllosen Nebenstraßen über die Dörfer - viele Fußgänger gibt. Sie laufen einfach von einem Dorf ins nächste: weil sie kein Geld für den Bus haben, oder weil kein Bus fährt, oder wer weiß warum.

Nicht alle waren einverstanden, fotografiert zu werden. Zumeist waren es Frauen, die ablehnten.
"So schön bin ich nicht, daß man mich fotografieren müßte", hieß es immer. "Wieso ausgerechnet mich? Für wen soll das gut sein?"

Deswegen sind auf den Fotos mehr Männer zu sehen. Vielleicht spielt das Äußere für sie nicht so eine Rolle. Oder sie sind einfach mutiger.

Allerdings stellten sie manchmal - nachdem die Erlaubnis gegeben war - noch weitere Fragen:
"Was muß ich dafür bezahlen?"
"Hab ich auch keine Nachteile davon?"
"Das Bild kommt doch nicht etwa in die Zeitung?"
"Nicht daß ich am Ende noch totgeschlagen werde?"

Einige der Fotografierten haben wir später wiedergetroffen. Und ihnen ihr Foto geschenkt. Einmal geschah dabei das folgende:
Ein Mann nahm sein Foto entgegen, schaute es sich gründlich an. Schließlich gab er es zurück.
"Behalt es! Ein Geschenk für dich."
Der Mann blickte noch einmal auf sein Bild. Hielt es uns wieder hin.
"Warum willst du es denn nicht haben? Es ist doch dein Bild."
"Nein."
"Was soll das heißen? Schau doch mal: das Gesicht, der Bart, der Fleck im Auge… Natürlich bist du das."
Er nahm das Foto, drehte es in den Händen. Dann bekamen wir es wieder, endgültig. Er wich sogar einen Schritt zurück.
"Das ist nicht mein Bild. So eine Mütze habe ich nicht."
Drehte sich um und ging weg.

Das heißt, Sie können auf den Bildern nur das sehen, was sich mit der Kamera sehen läßt - in einem günstigen Moment, da der Abgebildete vielleicht eine Spur offener ist als sonst. Das übrige läßt sich nur ahnen.

Sergej Losnitza, Filmregisseur

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